Publication Date:
2019-07-17
Description:
Die Helgoländer Inseln und das umgebende Meeresgebiet nehmen, insbesondere in biologischer
Hinsicht, eine Sonderstellung in der südlichen Nordsee ein. Der felsige Untergrund ermöglicht
eine außergewöhnlich artenreiche Meeresfauna und -flora, die sich deutlich von den
Lebensgemeinschaften der umgebenden Sedimentböden unterscheidet. Die untermeerischen
Gebiete und insbesondere der Gezeitenbereich sind seit mehr als hundert Jahren ein bedeutender
Standort der biologischen Meeresforschung (Janke 1990, S. 48ff). Vor dem Hintergrund des
Klimawandels und den damit verbundenen Veränderungen ökosystemarer Parameter bildet die
Bestandserfassung die Basis für jegliche Bewertungen des Ökosystemzustandes. Verbreitung,
Abundanz, Artenverschiebung und Sensitivität von Makroalgen dienen als ein Indikator für den
ökologischen Zustand und können gleichzeitig Anzeiger für Veränderungen z. B. von Temperatur,
Salzgehalt und Nährstoffeintrag sein (Bartsch & Kuhlenkamp 2004, S. 4ff). Deshalb ist die
Entwicklung neuer Methoden zur Erfassung der größtenteils unzugänglichen Küstenzonen von
großer Bedeutung. Fernerkundliche Methoden, insbesondere die Anwendung von spektral
hochauflösenden Hyperspektralsensoren, eignen sich durch ihre berührungsfreie Funktionsweise
besonders und weisen im Küstenmonitoring bereits Erfolge auf (Dekker et al. 2006, S. 345ff).
Grundlegende Ziele der fernerkundlichen Studien auf Helgoland sind die Klassifikation und die
daraus abzuleitende Quantifizierung, die Erfassung der saisonalen Ausprägungen der
Makroalgenbiotope sowie die Analyse spektraler Charakteristika ausgewählter Arten. Es gilt die
Verfahren zur Bildanalyse zu verbessern und zu automatisieren. Die Ergebnisse bilden eine
Grundlage für Biodiversitätsstudien und Langzeituntersuchungen, wie beispielsweise zu
strukturbildenden Arten wie Laminarien und Fucaceen.
Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf der Klassifikation des Felswatts, welches bei niedrigen
Wasserständen trocken fällt und die Wassersäule somit keinen Einfluss auf die spektralen
Signaturen der Makroalgen hat. Die Datenbasis bilden eine Hyperspektralszene des Sensors
AISA Eagle aus Mai 2008 sowie umfangreiche Bodenreferenzdaten. Entsprechend der genannten
Zielsetzung und den verfügbaren Daten wird folgende grundlegende Fragestellung formuliert:
Inwieweit und mit welchen Methoden ist eine Erfassung der marinen Vegetation im
Helgoländer Felswatt mit AISA Eagle-Hyperspektraldaten möglich?
Aus dieser zentralen Fragestellung ergeben sich eine Reihe untergeordnete Fragen, die es in dieser
Arbeit zu beantworten gilt:
Anhand welcher spektralen Merkmale lassen sich verschiedene Algenarten oder -
gruppen fernerkundlich erfassen und voneinander abgrenzen?
Ist eine Klassifizierung verschiedener Makroalgenbiotope durch die Verwendung von
Standardklassifizierern möglich?
Welcher Klassifikationsalgorithmus erzeugt die genauesten Ergebnisse?
Sind AISA Eagle-Hyperspektraldaten für diese Aufgabenstellung geeignet oder sind
weitere Datenerhebungen notwendig?
Die in der Untersuchung angewandten Methoden der Bildbearbeitung und -auswertung
ermöglichen eine Differenzierung der Makroalgenbiotope des Helgoländer Felswatts. Demzufolge
können die formulierten Leitfragen überwiegend positiv beantwortet werden.
Insbesondere das Ergebnis des Maximum Likelihood Klassifizierers auf Basis eines selektierten
Datensatzes erfasst die Biotopenstruktur des Gezeitenbereichs zum Aufnahmezeitpunkt der
Hyperspektralszene, mit einer Gesamtgenauigkeit von 85,22 % sowie einem Kappa-Wert von 0,82
weitestgehend richtig. Zusammenfassend können folgende Aussagen aus den
Klassifikationsergebnissen abgeleitet werden:
Reine Makroalgenbestände wie Fucus serratus, Laminaria digitata und Mastocarpus stellatus
können durch den Klassifikationsprozess gut separiert werden.
Die Gruppe der Grünalgen kann ebenfalls eindeutig detektiert werden, eine
Differenzierung in verschiedene Grünalgenarten ist jedoch nicht möglich.
Die Nomenklatur der Rotalgenmischbiotope ist nicht ausreichend für eine eindeutige
Differenzierung.
Die erreichte Genauigkeit der Klasse Degradierte Fucus-Zone kann nur durch eine visuelle
Validation überprüft werden.
Limitationen im Klassifikationsprozess ergeben sich hauptsächlich aus den beschriebenen
kleinräumigen Strukturen des Gezeitenbereichs im Verhältnis zur räumlichen Auflösung des
Sensors von 1 m und der daraus folgenden großen Anzahl von Mischpixeln. Die in der
vorliegenden Arbeit angewandten Methoden lassen lediglich eine Klassifikation in „richtig“ oder
„falsch“ zu und können somit die Mischpixel nicht ausreichend abbilden. Demzufolge könnte eine
Klassifikation auf Basis höherauflösender Hyperspektraldaten den Gezeitenbereich differenzierter
erfassen. Da die räumliche Variabilität vieler Makroalgenbiotope, wie beispielsweise die der Klasse
Rotalgen/Fucus serratus Gemeinschaft, im Zentimeterbereich vorliegt, ist eine Anpassung der
Sensorauflösung technisch nur begrenzt möglich. Bei einer Erhöhung der geometrischen
Auflösung kann das Problem der Mischklassen nur begrenzt gelöst werden, da die grundsätzliche
Heterogenität auf einer anderen Skala bestehen bleibt. Folglich muss in Abhängigkeit der
Aufgabenstellung geprüft werden, ob der Aufwand im Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen steht.
An dieser Stelle werden Vorschläge für zukünftige Aufgabenstellungen im Bereich der
fernerkundlichen Erfassung des Helgoländer Gezeitenbereichs formuliert:
(1.) Vor dem Hintergrund der Limitationen durch Mischbiotope stellt das Verfahren der
spektralen Entmischung einen geeigneten Ansatz zur Differenzierung dieser Biotope dar. Das
Verfahren des Entmischens beruht auf der Annahme, dass die Reflexion jedes Pixels sich in seiner
Summe, unabhängig von seiner Größe, aus einer Vielzahl unterschiedlicher Bestandteile
(Endmember) zusammensetzt. In diesem Zusammenhang sind unter Endmember die
verschiedenen Makroalgenarten zu verstehen. Die spektrale Entmischung bezeichnet den Vorgang
der optimalen Bestimmung der Flächenanteile der Endmember pro Pixel (Richards 2006, S. 385f).
So könnten die Mischbiotope differenziert und der Einfluss von Substraten auf das spektrale Signal
festgestellt werden. Eine weitere Berechnung der Daten könnte mit Wahrscheinlichkeiten
erfolgen. Dieses Verfahren bietet möglicherweise großes Potential zur Abgrenzung der
Makroalgenbiotope, ist aber gleichzeitig sehr zeitintensiv.
(2.) Desweiteren könnten die von Schulze (2010) gewonnenen Feld- und Laborspektren
ausgewählter Makroalgen des Helgoländer Felswatts für den Prozess der Bildanalyse ergänzend
genutzt werden. So könnten die Charakteristiken der verschiedenen Makroalgen eindeutig
bestimmt und zur Differenzierung der Hyperspektraldaten verwendet werden.
(3.) In der vorliegenden Untersuchung ist der berücksichtigte Wellenlängenbereich durch die
Sensoreigenschaften definiert und zeigt somit nur einen Ausschnitt des spektralen Signals.
Möglicherweise liegen in anderen Wellenlängenbereichen weitere spektrale Merkmale zur
Unterscheidung von Makroalgen, dies bedarf einer Prüfung.
(4.) Zukünftige Fragestellungen könnten die Übertragbarkeit der Endmember, aber auch der
gewonnenen Erkenntnisse zur Differenzierung von Makroalgen auf andere AISA Eagle-Szenen
untersuchen. Da die Zeitpunkte der Bildaufnahmen und somit die Wachstumsphasen der
Makroalgen variieren, kann auch die spektrale Ausprägung der Biotope deutlich abweichen. Für
einen temporären Vergleich saisonaler Aspekte des Gezeitenbereichs bedarf es einer Studie über
die spektrale Veränderung der Biotope zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahresverlauf.
(5.) Die Zonierung der verschiedenen Makroalgen ist maßgeblich durch die geomorphologische
Struktur des Gezeitenbereichs beeinflusst. Daher könnte eine detaillierte Erfassung der Oberfläche
des Gezeitenbereichs, beispielsweise durch Radartechnik, für die Klassifikation besonders hilfreich
sein. Dabei sollten die Radarbilder die gleiche räumliche Auflösung wie der optische Sensor
aufweisen.
Grundsätzlich ist Helgoland nicht nur ein interessantes Untersuchungsgebiet, sondern weist durch
die intensiven biologischen Forschungen und Felddokumentationen großes Potential für weitere
fernerkundliche Studien auf. Die projektbasierte Zusammenarbeit von AWI, AG Fernerkundung der
Universität zu Kiel und dem GFZ Potsdam zeichnet sich durch einen interdisziplinären
Wissenstransfer aus und ermöglicht somit eine umfassende Forschungsarbeit. Die vorliegende
Diplomarbeit ist ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit und bildet eine Grundlage für weitere
fernerkundliche Studien von Makrophyten.
Repository Name:
EPIC Alfred Wegener Institut
Type:
Thesis
,
notRev
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