Zusammenfassung
Nach einigen grundsätzlichen Erörterungen zur Psychopathologie der Schizophrenie wird das schizophren-halluzinatorische Syndrom einer faktorenanalytischen Untersuchung unterzogen. Ausgehend von der Feststellung, daß der Vergleich der Halluzinationen mit Wahrnehmungsvorgängen nicht weiter als zum Konstatieren qualitativer Verschiedenheit geführt hat, wird der Versuch gemacht, die Halluzinationen mit jenen psychischen Funktionen zu vergleichen, mit denen sie inhaltlich in Beziehung stehen. Es bietet sich dabei die Hypothese an, daß Vorstellungen, Gedanken, Empfindungen usw. durch Verlust ihrer Ichqualitäten zu Halluzinationen werden können. Den normalen psychischen Funktionen eignen im allgemeinen 3 Formen möglichen Ichbezugs: Die Meinhaftigkeit oder Vertrautheit, das Impulserlebnis und der Ichursprung. Der letztere fehlt grundsätzlich bei allen Wahrnehmungsvorgängen. In der schizophrenen Halluzination sind im akut-psychotischen Zustand meist alle 3 Ichqualitäten beeinträchtigt, entscheidend bleibt jedoch alleine die dritte, der Ichursprung. Durch das Fehlen dieser Qualität rücken die Halluzinationen erlebnismäßig in die unmittelbare Nähe der Wahrnehmungsvorgänge, oder werden überhaupt als solche erlebt.
Die formal qualitative Verschiedenheit der halluzinatorischen Erlebnisse von den neurotischen bleibt also gewahrt. An einem konkreten Fall wird aufgewiesen, wie es zum Einbruch ichfremder Inhalte ins Bewußtsein und zur „Ich-Anachorese“ (Winkler-Häfner) kommt. Es wird weiter gezeigt, wie das Vordergründigwerden des mythisch-archetypischen Sinnhorizonts (Müller-Suur) und der prozeßhafte Verlauf mit der Ich-Anachorese in Zusammenhang stehen.
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Häfner, H. Zur Psychopathologie der halluzinatorischen Schizophrenie. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 192, 241–258 (1954). https://doi.org/10.1007/BF00341904
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