Einleitung

Größenwachstum ist ein Phänomen, das aus einer komplexen Interaktion verschiedener regulatorischer Netzwerke resultiert. Dabei spielen zahlreiche Hormone, insbesondere die sog. Wachstumshormon(GH)-IGF-1-Achse, Glukokortikoide, Sexualsteroide, Schilddrüsenhormon, aber auch zahlreiche parakrine Faktoren, intrazelluläre Proteine und Bestandteile der extrazellulären Matrix eine wichtige Rolle. Im Zentrum des Geschehens beim Knochenwachstum stehen Prozesse im Bereich der Wachstumsfuge, durch die Knorpelgewebe durch kalkhaltigen Knochen ersetzt wird. Je nach ihrer Genese können sich Erkrankungen auf die Körpergrößenentwicklung, die Bildung und den Abbau von Knochensubstanz sowie auf die Knochenstabilität auswirken.

Über viele Jahre wurde bei der Analytik von Wachstumsstörungen ein Fokus auf genetische Veränderungen der GH-IGF-1-Achse gelegt. Allerdings konnte in jüngeren Untersuchungen, ermöglicht durch die mittlerweile breiter verfügbaren Methoden des „next generation sequencing“, gezeigt werden, dass bei einem erheblichen Anteil von kleinwüchsigen Kindern Mutationen in Genen gefunden werden, die an der parakrinen und endokrinen Signalgebung im Bereich der Wachstumsfuge beteiligt sind und die zu einem Kleinwuchs und/oder Knochendeformierungen führen können. Darüber hinaus können Faktoren wie Mangelernährung über die Stimulation von FGF21 sowie Entzündungsprozesse durch die Wirkung proinflammatorischer Zytokine und Induktion des Suppressors des Zytokinsignalwegs 2 (SOCS2) in der Wachstumsfuge zu einer Wachstumsverzögerung beitragen [1]. SOCS2 ist auch ein wesentlicher Modulator der lokalen Wirkung von Wachstumshormon (GH) in der Wachstumsfuge [2].

Aus biochemischer und struktureller Sicht stellt die Wachstumsfuge eine natürliche Matrix dar, die die Migration von Osteoblasten und letztlich die Knochenbildung erlaubt. Dabei werden zunächst in der Ruhezone Chondrozyten aus Vorläuferzellen rekrutiert, die dann proliferieren und hypertrophieren. Über die neu entstandenen in den Knorpel einwachsenden Blutgefäße wandern Knochenvorläuferzellen ein. Größenwachstum entsteht in der hypertrophen Zone durch Umbau von Knorpel in Knochen [3]. Innerhalb der Wachstumsfuge sezernieren Chondrozyten Proteine und Proteoglykane, die die extrazelluläre Matrix des Knorpels bilden. Hauptkomponenten dieser Matrix sind Kollagene. Gesteuert wird der Prozess durch ein komplexes Zusammenspiel parakriner Faktoren, zu denen Insulin-ähnliche Wachstumsfaktoren (IGF), Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGF), „parathormon-related protein“ (PTHrP), knochenmorphogenetische Proteine (BMP) und vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren (VEGF) zählen. Zusätzlich regulieren Hormone wie Wachstumshormon, Schilddrüsenhormone, Glukokortikoide und Sexualhormone die Knochenbildung an der Wachstumsfuge (Abb. 1; [4]).

Abb. 1
figure 1

Direkte und indirekte endokrine Signale regulieren das Längenwachstum an der Wachstumsfuge. + stimulierende Effekte,  inhibierende Effekte, BMP knochenmorphogenetisches Protein, CNP C-Typ natriuretisches Peptid, FGF Fibroblastenwachstumsfaktor, GH Wachstumshormon, IGF Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor, IHH „Indian hedgehog-protein“, PTHrp „parathormon-related protein“. (Modifiziert nach Nilsson et al. [47]; Lui et al. [48], mit freundl. Genehmigung, © J. Wölfle, alle Rechte vorbehalten)

Wichtigstes Hormon für das Wachstum ist Wachstumshormon (GH), das einen direkten Einfluss auf die Aktivität der Zellen in der Epiphysenfuge und einen indirekten auf ihre mechanische Festigkeit hat. Ein GH-Mangel führt im Kindesalter nicht nur zu einem verminderten Wachstum, sondern auch zu einer niedrigen Spitzenknochenmasse („peak bone mass“). Die GH-Therapie von Kindern mit einem hypophysären Kleinwuchs geht mit einem Anstieg von intaktem aminoterminalen Propeptid Typ-1-Kollagen, alkalischer Knochenphosphatase (BALP) und Osteokalzin innerhalb des ersten Behandlungsjahrs einher [5, 6]. Der Verlauf ist dynamisch und korreliert mit der Entwicklung der Körpergröße; später nehmen die Werte wieder ab.

Unter einer GH-Therapie überwiegt initial in den ersten 6 Monaten die Knochenresorption gegenüber der Knochenbildung, sodass ein Abfall der Knochenflächendichte zu beobachten ist; danach überwiegt die Knochenneubildung [7], mit Zunahme des Knochenmineralsalzgehalts zentral und im Bereich der Extremitäten [6]. Dabei korreliert der Anstieg von Knochenmineralsalzgehalt und Knochenflächendichte mit der Dauer der GH-Therapie und Parametern des Knochenanbaus und der Mineralisation [8].

Für den Kalziumhaushalt und die Mineralisation des Knochens ist neben den oben genannten Faktoren ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel erforderlich [9, 10]. Bei rund einem Drittel der deutschen Kinder liegt die Vitamin-D-Konzentration im Serum unterhalb des empfohlenen Zielbereichs von 20–100 ng/ml, aber oberhalb des mit <12 ng/ml definierten Vitamin-D-Mangels. Die weltweit zu beobachtende mangelhafte Versorgung mit Vitamin D ist durch fehlende Sonnenexposition mit fehlender UV-B-Strahlung, insbesondere in den Wintermonaten, und ungenügende Aufnahme über die Nahrung bedingt [9, 10]. Grenzwertig erniedrigte Vitamin-D-Spiegel bedeuten nicht, dass eine Kalzium- oder Mineralisationsstörung des Knochens vorliegt [11]. Bei gesunden Kindern wird von der Bestimmung von Vitamin-D-Spiegeln im Serum abgeraten. Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin sowie die Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie empfehlen eine Vitamin-D-Supplementierung mit 500–1000 IE/Tag bei Risikogruppen wie Säuglingen bis zum erlebten 2. Sommer, Kindern mit Malabsorption, Leber- oder Nierenerkrankungen, chronisch immobilisierten Kindern oder Kindern, die wegen ihres kulturellen Hintergrunds (z. B. Verschleierung) keiner Sonne ausgesetzt sind [9].

Osteogenesis imperfecta

Die Osteogenesis imperfecta (OI) ist eine seltene angeborene Skeletterkrankung (Inzidenz ca. 1:20.000) mit heterogenem Phänotyp. Die meisten Formen der Erkrankung beruhen auf Mutationen in den Genen COL1A1/COLA2 und folgen einem autosomal-dominanten Erbgang [12]. Circa 15–20 % der Erkrankten haben Mutationen in anderen Genen, die z. T. autosomal-rezessiv oder X‑chromosomal vererbt werden. Aufgrund klinischer Kriterien wurden ursprünglich 4 Subtypen der OI (Typen I–IV) unterschieden [13], wobei diese in den letzten Jahren nach molekulargenetischen Erkenntnissen ergänzt und verfeinert wurden. Durch die Kollagenmutation verlangsamt sich die Bildung von Knochensubstanz, und der Knochen kann sich nicht schnell genug an die Veränderung des Körpergrößenwachstums anpassen, wodurch die charakteristische Fragilität des Skelettsystems entsteht. Nach dem Ende des Körpergrößenwachstums nimmt die Stabilität des Skelettsystems bei Patienten mit OI zu, da das vom Körper produzierte Kollagen dann nicht mehr für die Längenzunahme verwendet wird, sondern für die Zunahme der Stabilität genutzt werden kann.

Bei den Erkrankungen, die durch Kollagenmutationen verursacht werden, lassen sich 2 grundsätzliche Formen unterscheiden. Eine Form, bei der die Kollagensynthese durch eine Stoppmutation quantitativ verändert ist, und eine Form, bei der die Mutation zu einer veränderten Proteinstruktur und damit zur Bildung von Knochensubstanz in reduzierter Menge und Qualität führt [12]. Bei der letzteren, schwereren Verlaufsform treten deutlich häufiger Frakturen und langfristige Einschränkungen der Mobilität und Selbstständigkeit auf.

Aufgrund der reduzierten Produktion von Knochenmasse und der erhöhten Frakturrate sind die Patienten von einem variablen Kleinwuchs betroffen, wobei viele Betroffene als Erwachsene kleiner als 140 cm bleiben. Schon bei Geburt liegen Geburtslänge und -gewicht oft unter der Norm. Beim OI-Typ I, der leichtesten Verlaufsform, wurden krankheitsspezifische Wachstumskurven publiziert [14]. So lag die Körpergröße der 2‑ bis 3‑jährigen polnischen Kinder unter der Größe von Gesunden, nach dem 8. Lebensjahr nahm die Körpergröße im Verhältnis weiter ab, und die mediane Erwachsenengröße lag bei −2,7 SDS. In einer Studie aus den USA wurden die Körpergrößen von 552 Kindern nach den verschiedenen OI-Typen beurteilt. Die medianen Körpergrößen (SDS) lagen bei den Kindern mit den OI-Typen I, III und IV bei −0,66; −6,91 und −2,79 [14]. Der SDS-Wert der Körpergröße korrelierte signifikant positiv mit dem Schweregrad der OI. Die medianen Erwachsenengrößen (SDS) lagen bei −1,10 (OI-Typ I), −8,67 (OI-Typ III) und bei −3,58 (OI-Typ IV).

Versuche, die Körpergrößenentwicklung therapeutisch mit GH zu beeinflussen, haben keine positiven Ergebnisse erbracht. Bei Behandlung mit GH kam es nur im ersten Therapiejahr zu einer Beschleunigung der Wachstumsgeschwindigkeit, nicht aber im Folgejahr [15]. Letztlich hat sich der Einsatz von GH bei Patienten mit OI nicht durchgesetzt, da der Zugewinn an Körpergröße nicht in einem günstigen Verhältnis zu einer gleichzeitig erhöhten Frakturrate stand [16]. Die derzeitige medikamentöse Standardbehandlung mit Bisphosphonaten steigert über eine Hemmung der Osteoklasten die Knochenmasse und somit auch die Knochenstabilität [17]. Dies bewirkt an der Wirbelsäule eine Reduktion der Deformierung und eine Höhenzunahme der Wirbelkörper, wodurch ein Zugewinn an Körperlänge erreicht werden kann. Zusätzlich gelingt es durch den positiven Einfluss auf die Thoraxentwicklung, der Entstehung einer Skoliose und dem damit verbundenen Größenverlust entgegenzuwirken.

Pseudohypoparathyreoidismus

Der Pseudohypoparathyreoidismus (PHP) gehört zur Gruppe von Hormonresistenzerkrankungen, bei denen die Funktion G‑Protein-gekoppelter Rezeptoren aufgrund von genetischen Veränderungen im Bereich des GNAS-Lokus eingeschränkt ist [18, 19]. Für die verschiedenen Formen der Störungen der Signalwege von Parathormon (PTH) oder dem „parathormon-related proteine“ (PTHrP) wurde in den letzten Jahren eine neue Klassifikation eingeführt, die den übergeordneten Begriff der „inactivating PTH/PTHrP signalling disorders“ (iPPSD) verwendet [20].

Patienten mit PHP-1A zeigen oft ein variables klinisches Erscheinungsbild, wobei sich die assoziierten Hormonresistenzen auch erst im Verlauf der Kindheit manifestieren können [21]. Das Erscheinungsbild mit Kleinwuchs, verkürzten Metakarpalknochen, ektopen Kalzifikationen, mentaler Retardierung und rundlichem Gesicht wird als hereditäre Albright-Osteodystrophie (AHO) bezeichnet [18]. Als Pseudopseudohypoparathyreoidismus (PPHP) wird das klinische Bild mit AHO-Zeichen, aber ohne Hormonresistenzen bezeichnet.

Der Kleinwuchs kann verschiedene pathophysiologische Ursachen haben. Die Haploinsuffizienz der α‑Untereinheit des stimulatorischen Gs-Proteins durch Mutation oder Imprinting-Defekt im GNAS-Lokus beeinträchtigt die Chondrozytendifferenzierung in der Wachstumsfuge. Hierbei werden die physiologische Stimulation der Chondrozyten der Reservezone sowie die Hemmung vor dem Übergang zur Hypertrophie gestört, die über den G‑Protein-gekoppelten PTH-Rezeptor vermittelt werden. Entsprechend entwickelt sich eine Wachstumsstörung mit deutlicher Brachymetakarpie ([22]; Abb. 2). Die Veränderungen der Chondrozyten können zu zunehmender Desorganisation und frühzeitigem Verschluss der Wachstumsfugen führen, sodass der pubertäre Wachstumsspurt ausbleibt. Die Erwachsenenkörperhöhen von Patienten mit PHP-1A und PPHP liegen etwa bei −2,5 SDS, d. h. im Mittel von Frauen bei 149 cm und von Männern bei 155 cm [18].

Abb. 2
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Ausgeprägte Verkürzung der 4. und 5. Metacarpalia, die klinisch besonders bei älteren Kindern mit PHP gut zu erkennen ist; ebenso kann eine Verkürzung der Metatarsalia auftreten. (Foto: C. Grasemann, mit freundl. Genehmigung, © J. Wölfle, alle Rechte vorbehalten)

Im Rahmen der vielfältigen Hormonresistenzen bei PHP kann auch eine Resistenz gegen das Wachstumshormon-Releasing-Hormon (GHRH) und damit ein Wachstumshormon(GH)-Mangel vorliegen. Somit kann sich aufgrund der multifaktoriellen Pathogenese bei Kindern und Jugendlichen mit PHP eine komplexe Kleinwuchsform mit Aspekten sowohl einer Skelettdysplasie als auch mit einem GH-Mangel manifestieren. Die Diagnostik des GH-Mangels ist eine Herausforderung. Die betroffenen Kinder sollten bei schlechtem Wachstum (niedriger Wachstumsgeschwindigkeit) und erniedrigten Serum-IGF-1-Werten getestet werden. Da der GH-Mangel auf einer Resistenz gegenüber GHRH und nicht auf einer hypophysären Insuffizienz beruht, sollten Funktionsteste wie z. B. der Clonidintest bevorzugt werden, die über eine Aktivierung von GHRH testen [23].

Bei Patienten mit nachgewiesenem GH-Mangel sollte möglichst rasch eine GH-Therapie unter sorgfältiger Beobachtung des Skelettalters begonnen werden, da die Störung der Chondrozytendifferenzierung einen raschen und oft vorzeitigen Schluss der Epiphysenfugen bewirken kann. Die Patienten sprechen gut auf die GH-Therapie an [18, 21, 24]. Eine Korrektur der Differenzierungsstörung der Chondrozyten in der Wachstumsfuge ist derzeit nicht möglich. Wegen der häufig begleitenden Resistenz gegen thyreoidstimulierendes Hormon (TSH), die mit Hypothyreose und schlechtem Wachstum einhergehen kann, sollte die thyreotrope Achse stets mituntersucht und ggf. substituiert werden [18].

Vitamin-D-Mangel-Rachitis

Die typische Vitamin-D-Mangelerkrankung ist die kalzipenische Rachitis, die sich bei fehlender Vitamin-D-Prophylaxe typischerweise im 1. Lebensjahr oder in den Phasen des stärksten Körpergrößenwachstums (Säugling/Kleinkindalter oder Pubertät) bei extrem vegetarischen Ernährungsweisen ohne Bilanzierung der Vitamin-D-Zufuhr oder mangelnder Sonnenexposition mit gleichzeitiger Verschleierung („Migrantenrachitis“) entwickelt. Klinisch findet man Knochendeformitäten wie Auftreibungen der Knorpel-Knochen-Grenze (z. B. Marfan-Zeichen, rachitischer Rosenkranz), Glockenthorax, Genua vara, Genua valga, Kraniotabes und/oder eine offene kleine Fontanelle. Zusätzlich können insbesondere bei älteren Kindern und Jugendlichen Knochen- und Muskelschmerzen Symptome einer Vitamin-D-Mangelrachitis sein. Laborchemisch ist die Aktivität der alkalischen Phosphatase erhöht, und man findet einen sekundären Hyperparathyreoidismus [10]. Unbehandelt geht die Rachitis mit gestörtem Wachstum einher. Betroffene erreichten nach Untersuchungen aus dem 19. Jh. lediglich eine Endlänge von ca. 75 % der familiären Zielgröße [25]. Wird mit Vitamin D bei florider Rachitis therapiert, wird jedoch eine normale Endgröße erreicht.

Außerhalb der Therapie einer manifesten Rachitis führt Vitamin D jedoch nicht zu einem besseren Wachstum oder zu einer höheren Knochendichte, auch nicht bei subnormalen Vitamin-D-Spiegeln [9]. Die Erhöhung der Vitamin-D-Supplementation von 400 auf 1200 Einheiten/Tag führte im Rahmen einer randomisierten Studie mit fast 1000 Säuglingen nicht zu einer Veränderung der Knochendichte [26]. In einer anderen randomisierten Studie stiegen bei prä- und postnataler Gabe von Vitamin D an die Mutter die Vitamin-D-Serumspiegel von Neugeborenen und gestillten Säuglingen in den ersten 6 Lebensmonaten an, ohne jedoch das Längenwachstum zu beeinflussen [27].

X-chromosomal vererbte hypophosphatämische Rachitis (Phosphatdiabetes)

Der Phosphatdiabetes ist mit einer Inzidenz von 1: 20.000 Neugeborenen die häufigste erbliche Rachitis. Mittlerweile sind zahlreiche genetisch bedingte Formen bekannt. Die häufigste Form wird X‑chromosomal-dominant vererbt und durch verschiedene, auf dem distalen Anteil des kurzen Arms des X‑Chromosoms lokalisierte Mutationen des PHEX-Gens hervorgerufen (XLHR). Durch die Mutation werden der phosphaturische Faktor FGF23 gehemmt und dadurch die tubuläre Phosphatrückresorption und die 1,25(OH)2D-Bildung im proximalen Nierentubulus gestört. Die Diagnose wird meistens im 2. Lebensjahr aufgrund von Kleinwuchs und/oder einer verminderten Wachstumsgeschwindigkeit gestellt. Die O‑Bein-Stellung der unteren Extremität ist progredient. Weitere Symptome des Skelettsystems sind bei unbehandelten Patienten Knochenschmerzen, Frakturen oder Pseudofrakturen. Kinder mit XLHR haben einen disproportionierten Kleinwuchs. Der Sitzhöhenindex (Ratio von Sitzhöhe zu Körperhöhe) als Maß der Disproportionierung ist im Vergleich zu gesunden Kindern deutlich erhöht. Die mittlere Erwachsenengröße von Frauen liegt bei 153 cm und die von Männern bei 160 cm [28]. Da eine Therapie mit rekombinantem GH zu einem Anstieg der tubulären Phosphatrückresorption und zu einem Anstieg der Serum-Phosphat-Spiegel führt, wurden in den letzten Jahren zahlreiche GH-Therapie-Studien bei Kindern mit XLHR durchgeführt, die alle einen kurzfristigen positiven Effekt auf die Körpergröße zeigen konnten [29,30,31,32]. So konnte eine randomisierte Studie zeigen, dass eine hochdosierte GH-Therapie über 3 Jahre bei betroffenen Kindern zu einer Verbesserung der Körperhöhe führt, ohne die Körperproportionen zu verschlechtern [33]. Erste Daten zur Erwachsenenkörperhöhe der mit GH-behandelten Patienten mit XLHR fanden aber keine signifikante Verbesserung der Erwachsenenkörperhöhe im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe [34].

Im Vordergrund der Therapie stand bisher die orale Verabreichung von elementarem Phosphor in Kombination mit aktivem Vitamin D. Kürzlich wurde Burosumab, ein rekombinanter menschlicher IgG1-monoklonaler Antikörper, für Kinder mit molekulargenetisch gesichertem XLHR für die Therapie zugelassen (s.c.-Injektionen alle 2 Wochen). Durch Neutralisierung von FGF23 werden die tubuläre Phosphatrückresorption normalisiert und die Synthesehemmung von Calcitriol aufgehoben. Das Größenwachstum der Kinder ist unter Burosumab besser als das von Kindern, die konventionell behandelt wurden [35]. Endgrößen von Kindern liegen nach Burosumabtherapie noch nicht vor.

SHOX-Mangel

Das SHOX-Gen kodiert einen Transkriptionsfaktor in den Chondrozyten der Wachstumsfuge und steuert die zelluläre Proliferation und Differenzierung in der Wachstumsfuge. Der Mangel an SHOX verursacht eine variable Wachstumsstörung mit mesomeler Disproportion [36]. Ursache ist vermutlich eine gesteigerte chondrale Proliferation ohne ausreichende Differenzierung. Bei Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) wird ein Teil der Wachstumsstörung und des beobachteten skeletalen Phänotyps durch eine Haploinsuffizienz des SHOX-Gens erklärt. Durch den X‑chromosomalen Materialverlust beim UTS kommt es zu einer Verminderung der Expression des typischerweise auf beiden X‑chromosomalen Allelen exprimierten SHOX-Gens, da dieses bei gesunden Mädchen nicht einer X‑Inaktivierung unterliegt.

Die sog. Madelung-Deformität des distalen Radius beim Jugendlichen mit SHOX-Mangel charakterisiert lokale Probleme eines unharmonischen Wachstums: Spezifische radiologische Befunde bei älteren Schulkindern mit SHOX-Mangel sind Dreieckform der distalen Radiusepiphyse und Keilform der Karpalknochenreihe sowie Aufhellung des medialen distalen Radius. Das postnatale Wachstum ist gestört, mit relativem Körperhöhenverlust v. a. in den ersten Lebensjahren und in der Pubertät [37]. Bei SHOX-Mangel liegt die mittlere Erwachsenengröße im Bereich der 3. Perzentile der Normalpopulation; die Beeinträchtigung des Größenwachstums ist sehr variabel.

Eine kausale Therapie des SHOX-Mangels gibt es nicht; die Wachstumsstörung kann in Analogie zur Therapie beim Ullrich-Turner-Syndrom mit GH behandelt werden. Humatrope® ist das einzige GH-Präparat, das in Deutschland für die Behandlung von Kindern mit Wachstumsstörungen infolge eines durch DNA-Analyse (Nachweis einer SHOX-Mutation) bestätigten SHOX-Mangels zugelassen ist. Die Therapie mit einer Dosis von 45–50 µg/kgKG und Tag ist wahrscheinlich ähnlich effektiv wie bei Mädchen mit UTS. Bei rechtzeitigem Therapiebeginn erreichen 57 % der SHOX-Patienten eine Endgröße > −2 SD [38] mit einem durchschnittlichen Körperhöhengewinn von ca. 7 cm [39]. Während in der Vergangenheit ein erhöhtes Frakturrisiko bei Frauen mit UTS berichtet wurde, finden sich in aktuellen Beobachtungsstudien von mit GH und Sexualsteroiden behandelten Mädchen mit UTS keine Hinweise auf eine erhöhte Frakturrate mehr [40].

Juvenile idiopathische Arthritis

Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) haben durch Inflammation, verminderte körperliche Aktivität und Malnutrition einen frühen Verlust an Muskelmasse und, zeitlich verzögert, eine Reduktion der Knochenmasse. Zusätzlich scheinen erhöhte Konzentrationen von zirkulierenden inflammatorischen Zytokinen, Wachstumsfaktoren und RANKL die Osteoklastogenese zu stimulieren und gleichzeitig die Osteoblastenfunktion zu stören. Die Folge ist eine vermehrte Knochenresorption bei verminderter Knochenbildung, insbesondere bei Patienten mit systemischer und polyartikulärer JIA und hoher Krankheitsaktivität. Diese Patienten haben eine signifikante Wachstumsstörung [41, 42]. Dabei können Faktoren wie Krankheitsaktivität, Glukokortikoidtherapie und Mangelernährung die GH-IGF1-Achse stören.

In den letzten Jahren wurden Therapiestudien mit GH bei kleinwüchsigen Patienten mit JIA durchgeführt. Diese Studien konnten zeigen, dass sich eine Therapie mit GH bei Kindern und Jugendlichen mit polyartikulärer oder systemischer JIA neben einer signifikanten Verbesserung der Endlänge auch positiv auf die Dichte, die Geometrie und den Metabolismus des Knochens sowie auf die Muskelmasse auswirken kann [43]. Simon et al. beschrieben bei 14 Patienten unter GH-Therapie einen signifikanten Anstieg der Knochenbildungs- und Resorptionsparameter [44]. Während der einjährigen Therapie veränderte sich die Knochenmasse nicht, während trotz anhaltend hoher Glukokortikoidgaben die Magermasse um 12 % zu- und die Fettmasse um 20 % abnahm. Rooney et al. beschrieben während einer einjährigen GH-Therapie parallel zur Größenzunahme auch eine signifikante Zunahme der Knochenmineralmasse sowie von Osteokalzin und alkalischer Phosphatase [45]. Osteokalzin korrelierte dabei positiv mit der Wachstumsgeschwindigkeit und negativ mit der Krankheitsaktivität. Allerdings ist es schwierig, die relativen Effekte der Glukokortikoid- und der GH-Therapie sowie der stark fluktuierenden Erkrankung selbst auf die Knochenentwicklung zu trennen. Die in den erwähnten Studien relativ stabil eingesetzten Glukokortikoiddosen stützen jedoch die Hypothese eines vornehmlich auf GH zurückzuführenden positiven Effektes auf Knochen und Muskulatur. Unter GH wurde im Vergleich zu einer nichtbehandelten Kontrollgruppe auch eine signifikante Zunahme der Fläche und Dichte des Gesamtknochens sowie der Kortikalis beschrieben. Bei Erreichen der Erwachsenenkörperhöhe waren alle Knochengeometrie- und Knochendichteparameter normalisiert [46]. Die Zunahme des Knochendurchmessers trägt in hohem Maße zur höheren Knochenfestigkeit bei. Die Muskelfläche war unter GH um den Faktor 1,5 größer und hat höchstwahrscheinlich durch mechanischen Zug zur Größenzunahme der Knochenquerschnittsfläche und der Kortikalis beigetragen.

Fazit für die Praxis

  • Der Kleinwuchs ist bei Kindern mit Osteogenesis imperfecta (OI) variabel und korreliert mit dem Schweregrad der OI. Es gibt bisher keine therapeutische Möglichkeit, um das Körpergrößenwachstum gezielt zu beeinflussen.

  • Bei Pseudohypoparathyreoidismus kann sich eine komplexe Kleinwuchsform mit Aspekten sowohl einer Skelettdysplasie als auch eines GH-Mangels manifestieren. Liegt ein GH-Mangel vor, sollte eine Therapie mit GH rasch eingeleitet werden.

  • Kinder mit X‑chromosomal vererbter hypophosphatämischer Rachitis haben unter der bisherigen konventionellen Therapie mit Phosphat und Calcitriol einen disproportionierten Kleinwuchs. Therapiestudien mit GH führten zu einer vorübergehenden Verbesserung der Körperhöhe, aber zu keiner signifikanten Verbesserung der Erwachsenenkörperhöhe.

  • Bei Patienten mit SHOX-Defizienz stellt die GH-Therapie eine anerkannte Therapieoption zur Verbesserung der Endgröße dar.

  • Bei Patienten mit systemischer und polyartikulärer JIA und hoher Krankheitsaktivität kommt es zu einer Reduktion der Muskel- und Knochenmasse. Die GH-Therapie führt zu einer Verbesserung der Endgröße und hat positive Effekte auf Knochen und Muskulatur. Die GH-Therapie ist nicht zugelassen.