In:
Osteologie, Georg Thieme Verlag KG, Vol. 30, No. 03 ( 2021-09), p. 230-242
Abstract:
Man spricht von Osteoporose, wenn der Knochen von der Entwicklung her so fragil
angelegt ist oder im Lauf des Lebens sich dahingehend verändert hat, dass er nicht die ausreichende Bruchfestigkeit aufweist, um den physikalischen
Belastungen eines durchschnittlichen Lebens standzuh alten. Knochenbrüche
bei inadäquater Belastung oder Niedrig-Energie-Trauma, Fragilitätsfrakturen, sind demgemäß die klinischen
Charakteristika. Die häufigsten Frakturen, gleichzeitig diejenigen mit den schwerwiegendsten klinischen Auswirkungen, sind hüftnahe Frakturen
des Femur und vertebrale Frakturen. Auch wenn die klinischen Manifestationen der Osteoporose relativ uniform erscheinen, gibt es eine sehr breite Palette
möglicher molekularer Ursachen. Beeinträchtigter Knochenaufbau, beschleunigter Knochenabbau und Beeinträchtigung der lebenslangen
Adaptation und Regeneration stellen die groben Facetten der Erkrankung dar. Osteogene Signalkaskaden können genetisch, epigenetisch oder durch
andere Krankheiten Regulationsstörungen aufweisen, die den Knochenmetabolismus sekundär verändern. Zwar hat sich die
Forschung über die molekularen Mechanismen und die Entwicklung zielgenauer Medikamente in den letzten Dekaden sehr rasch entwickelt, am
wenigsten aber ist derzeit über die spezifischen epigenetischen Ursachen bekannt. Epigenetische Mechanismen wie Methylierung von DNA und Histonen,
Acetylierung von Histonen und Expression verschiedener nichtkodierender RNA-Moleküle (ncRNA) sind sehr eng verknüpft mit der
Knochenformation während der Entwicklung und der Regeneration, aber auch mit dem adaptiven Remodeling im Erwachsenenalter. Essentielle Regulatoren der
Knochenformation wie der osteogene Transkriptionsfaktor RUNX2 und die Inhibitoren osteogener wnt-Signalkaskaden Dickkopf-1 (DKK1) und Sklerostin
(SOST) werden wie auch viele nachgeordnete osteogene Proteine physiologischerweise im Rahmen der Differenzierungsprogramme skelettaler
Vorläuferzellen durch Methylierung von DNA und andere epigenetische Mechanismen moduliert. Hand in Hand damit finden Veränderungen der
Chromatin-Architektur statt, die z. B. durch polycomb-Proteinkomplexe wie PRC2 und durch (De-) Methylierung und (De-)Acetylierung von Histonen sowie
durch Expression bestimmter nicht-kodierender RNAs gemeinsam orchestriert werden, und Knochen-Formation oder -Abbau begünstigen oder verhindern.
Von daher wissen wir, dass physiologischerweise Knochenentwicklung und Remodellierung im Erwachsenenalter mit epigenetischen Regulationsmechanismen
gesteuert werden kann. Dies öffnet folgerichtig auch alle Türen für die Entwicklung von Fehlregulationen und Pathologien, die
Krankheiten begünstigen, auch die Entstehung der Osteoporose. Über die zentral an der Knochenformation beteiligten Zelltypen hinaus
hat jüngste Forschung Erkenntnisse darüber erbracht, wie überraschend essenziell der Einfluss gewebe-spezifischer residenter
Zellen des Immunsystems auf die Geweberegeneration ist, beispielsweise gewebespezifischer Makrophagen und myeloischer Vorläufer oder
Lymphozyten. Solche innovativen Aspekte der Geweberegeneration im Allgemeinen eröffnen ein neues Level der Komplexität, besonders was die
epigenetischen Mechanismen der intrinsischen Gewebe-Regeneration anbelangt. Im Besonderen eröffnen sie neue Fragen über mögliche
epigenetische Ursachen defizienter Regeneration oder eintretender Degeneration in Geweben nicht nur in den gewebeeigenen Zellen, in diesem Fall Osteoblasten
/ Osteozyten und Osteoklasten, sondern auch in spezifischen Kompartimenten wie beispielsweise den gewebe-residenten Zellen des Immunsystems.
Prinzipiell sind epigenetische Konstellationen erblich, es gibt aber auch die erwähnten, sich dynamisch verändernden Aktivitäten
epigenetischer Regulations-Mechanismen, die ihrerseits wiederum im Rahmen von Pathologie-Entwicklung zur Krankheitsursache werden können. In den
letzten Jahren wurden Untersuchungen durchgeführt, die in der DNA peripherer Leukozyten und in skelettalen Vorläuferzellen aus dem
Knochenmark bei OsteoporosepatientInnen im Vergleich zu knochengesunden Personen nach epigenetischen Veränderungen gesucht haben, die ursächlich
für die Osteoporose sein könnten. Ziele solcher Untersuchungen sind neben dem besseren Verständnis der Pathogenese der Erkrankung die
Identifizierung neuer therapeutischer Zielmoleküle und / oder die Etablierung epigenetischer Marker als Risikoindikatoren. Einige Arbeiten
konnten differentielle Methylierungsmuster in bestimmten Genregionen in der DNA zirkulierender Blutzellen finden, sowohl in solchen Genen die zentral mit dem
Knochenstoffwechsel verknüpft sind als auch in solchen die man bisher nicht mit der Knochenbiologie in Verbindung brachte. Andere Arbeiten fanden in
der DNA der mononukleären Blutzellen bei Berechnung mit hoher Stringenz keine signifikanten Veränderungen. Mehrere Arbeiten jedoch erbrachten
Hinweise darauf, dass EZH2, ein Mitglied des polycomb Komplexes PRC2 mit Methyltransferase-Aktivität, signifikant bei Osteoporose
überexprimiert wird und überaktiv ist. Solche Mechanismen dürfen als Kandidaten für epigenetische Ursachen der Osteoporose
angesehen werden, die Ergebnisse sind aber derzeit noch nicht konsistent. Es gab bei OsteoporosepatientInnen keine Hinweise für eine
Progerie-Konstellation, eine frühzeitige Alterung mit systemischen Auswirkungen. Untersuchungen an skelettalen Vorläuferzellen im
Knochenmark, ergaben jedoch eindeutige Veränderungen des Transkriptoms skelettaler Vorläuferzellen bei OsteoporosepatientInnen, was bei Fehlen
relevanter genetischer Veränderungen am ehesten im Sinne epigenetischer Ursachen zu interpretieren ist. Diese sind möglicherweise
beschränkt auf das Milieu im Knochen und Knochenmark und daher peripher nicht eindeutig zu identifizieren. Am ehesten sind diese Veränderungen
epigenetischer Regulation als segmentale Störung im Lauf des Lebens akquiriert, die durch Gewebealterung und begünstigende Krankheiten
anderer Gewebe ein Regenerationsdefizit bedingen. Zusammengefasst ergeben sich eindeutige Hinweise dafür, dass die altersassoziierte Osteoporose
epigenetische Ursachen hat. Wir wissen aber noch nicht, welche charakteristischen epigenetisch veränderten übergeordneten
Schaltstellen es gibt, die über Generationen vererbt werden und / oder im Lauf des Lebens im Gewebe erworben werden. In den
nächsten Jahren ist mit Sicherheit zu erwarten, dass neue Zielmechanismen für die Therapie entdeckt werden und
Risikokonstellationen mit epigenetischen Markern beschr ieben werden
können.
Type of Medium:
Online Resource
ISSN:
1019-1291
,
2567-5818
Language:
English
Publisher:
Georg Thieme Verlag KG
Publication Date:
2021
Permalink